Römische Instruktion zu den Pfarreien stösst auf Widerstand

Römische Instruktion zu den Pfarreien stösst auf Widerstand

Es war zu erwarten: Die Instruktion „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche“, welche die Kleruskongregation des Vatikans am 7. Juli 2020 veröffentlichte, stösst namentlich in den deutschsprachigen Ländern auf heftigen Widerstand.

Im Lande Luthers, wo sich eine grosse Mehrheit der Bischöfe eben anschickt, mittels des so genannten synodalen Wegs eine zweite Reformation auszurufen, empfindet man die Instruktion als Schuss in den Rücken. Geharnischte Reaktionen von zahlreichen Bischöfen sind die Antwort. Der Tenor ist überall etwa derselbe: Wir lassen uns von Rom nicht bremsen!

In der Schweiz, für welche die Instruktion womöglich noch brisanter ist als für Deutschland, tönt es ähnlich, wobei die Fronten entlang der bekannten Grenzen verlaufen: Während man sich in Chur über die klaren Worte aus Rom freut, begehrt man in Solothurn und St. Gallen dagegen auf und verharrt im trotzigen Widerstand: Unser System ist das beste, und die in Rom unten haben keine Ahnung. Klar: So drastisch formulieren es die Bischöfe Gmür und Büchel nicht, aber dem Sinn nach läuft’s etwa auf das hinaus.

Doch was genau erregt denn den Zorn unserer streitbaren Kirchenoberen? Sinn und Absicht der Instruktion ist es, die Pfarreien zu neuem missionarischen Schwung zu ermutigen: „Es bedarf einer erneuerten Dynamik, die es ermöglicht, im Lichte der Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils und des nachfolgenden Lehramtes die Berufung aller Getauften, Jünger Jesu und Verkünder des Evangeliums zu sein, wieder zu entdecken.“ (Instruktion, Abs. 11)

Und: „Die Konzilsväter haben in der Tat weitblickend festgehalten: «Die Seelsorge muss von einem missionarischen Geist beseelt sein». Übereinstimmend mit dieser Lehre hat der hl. Johannes Paul II. präzisierend hinzugefügt: «Die Pfarrei muss vervollkommnet und in viele andere Formen integriert werden. Dennoch bleibt sie unersetzbar und von höchster Bedeutung innerhalb der sichtbaren Strukturen der Kirche», um «zugunsten der Evangelisierung die Stütze allen pastoralen Handelns, das vordringlich und vorrangig ist, zu sein». Benedikt XVI. lehrte, dass «die Pfarrei ein Leuchtturm ist, der das Licht des Glaubens ausstrahlt und auf diese Weise der tiefsten Sehnsucht des menschlichen Herzens entgegenkommt, weil sie den Menschen und den Familien Sinn und Hoffnung schenkt». Schliesslich erinnert Papst Franziskus daran, dass «die Pfarrei durch all ihre Aktivitäten ihre Mitglieder ermutigt und formt, damit sie missionarisch aktiv sind»“. (Instruktion, Abs, 12)

Gegen dieses hohe Ideal dessen, was eine Pfarrei sein soll, gibt es auch von Seiten unserer progressiven Bischöfe nichts einzuwenden. „Mir gefällt, dass die Instruktion den missionarischen Auftrag der Pfarrei unterstreicht. Die Pfarrei dreht sich nicht um sich selbst.“ So Bischof Felix Gmür in seiner Stellungnahme zur Instruktion vom 20. Juli 2020.

Sobald die Instruktion jedoch konkreter wird und Dinge einfordert, die in der Schweiz zum Teil anders gehandhabt werden, gerät sie in den Bannstrahl der Verteidiger des schweizerischen Sonderwegs. Es kann hier nur auf einige Beispiele hingewiesen werden.

„Ausgehend von den Bestimmungen des can 517 §§ 1-2 (Codex Iuris Canonici), ist besonders darauf hinzuweisen, dass das Amt des Pfarrers nicht einer aus Klerikern und Laien bestehenden Gruppe übertragen werden kann. Daher sind Bezeichnungen wie „Leitungsteam“, „Leitungsequipe“ oder ähnliche Benennungen, die eine kollegiale Leitung der Pfarrei zum Ausdruck bringen könnten, zu vermeiden.“ (Instruktion, Abs. 66)

„Es ist notwendig, dass heute alle Laien einen grosszügigen Einsatz für den Dienst an der missionarischen Sendung leisten vor allem durch das Zeugnis des täglichen Lebens, das in den gewohnten Lebensbereichen und auf jeder Verantwortungsebene dem Evangelium entspricht, und besonders durch die Übernahme ihnen entsprechender Verpflichtungen im Dienst an der Pfarrgemeinde.“ (Instruktion, Abs. 86)

„Diejenigen, denen (…) eine Beteiligung an der Ausübung der Hirtensorge der Gemeinde anvertraut wird, werden durch einen Priester, der mit den entsprechenden Befugnissen ausgestattet und „Moderator der Hirtensorge“ ist, koordiniert und geleitet. Ausschliesslich ihm kommen die Vollmacht und die Funktionen des Pfarrers mit den entsprechenden Pflichten und Rechten zu, obwohl er dieses Amt nicht innehat.“ (Instruktion, Abs. 88)

„Im Hinblick auf die Bezeichnung der den Diakonen, den Gottgeweihten und den Laien übertragenen Beauftragungen ist auf jeden Fall eine Terminologie zu wählen, die in korrekter Weise den Funktionen, die sie ihrem Stand gemäss ausüben können, entspricht, um so den wesentlichen Unterschied zwischen dem allgemeinen und dem besonderen Priestertum nicht zu verdunkeln und damit für alle die Art der eingegangenen Verpflichtung klar ist.“ (Instruktion, Abs. 95)

„In diesem Sinne ist vor allem der Diözesanbischof und in nachgeordneter Weise der Pfarrer verantwortlich, dass die Dienste der Diakone, der Gottgeweihten und der Laien, die in der Pfarrei Verantwortung tragen, nicht mit Titeln wie „Pfarrer“, „Ko-Pfarrer“, „Pastor“, „Kaplan“, „Moderator“, „Pfarrverantwortlicher“ oder mit anderen ähnlichen Begriffen bezeichnet werden, die das Recht den Priestern vorbehält, weil sie einen direkten Bezug zu deren Dienstprofil haben. Gleichermassen illegitim und nicht ihrem kirchlichen Stand entsprechend sind im Hinblick auf die genannten Gläubigen und Diakone auch Formulierungen wie „übertragen der Hirtensorge einer Pfarrei“, „die Pfarrgemeinde leiten“ und andere ähnliche, die sich auf die Eigenart des priesterlichen Dienstes, die dem Pfarrer zusteht, beziehen.

Passender scheinen beispielsweise die Bezeichnungen „diakonaler Mitarbeiter“ und für die Gottgeweihten und die Laien „Koordinator für … (einen pastoralen Teilbereich)“, „pastoraler Mitarbeiter“, „pastoraler Assistent“ und „Beauftragter für … (einen pastoralen Teilbereich)“. (Instruktion, Abs. 96)

„Diese Laien (die eine pastorale Funktion ausüben; Red.) müssen in voller Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen, eine Ausbildung erhalten haben, die den Diensten, die sie ausführen sollen, angemessen ist, und eine beispielhafte persönliche und pastorale Lebensführung aufweisen, die sie für die Durchführung des Dienstes geeignet erscheinen lässt.“ (Instruktion, Abs. 97)

„Die Laien können «nach Massgabe der Vorschriften der Bischofskonferenz»] und «in Einklang mit dem Recht und unter Beachtung der liturgischen Normen» in einer Kirche oder in einer Kapelle predigen, wenn dies die Umstände, die Notwendigkeit oder der besondere Fall erfordern. Während der Feier der Eucharistie dürfen sie jedoch die Homilie auf keinen Fall halten.“ (Instruktion, Abs. 99)

All diese Forderungen würden, wenn man sie denn in der Schweiz umsetzen wollte, fundamentale Änderungen zur Folge haben, die man sowohl in den staatskirchlichen Gremien wie auch in den Ordinariaten zu Solothurn und St. Gallen fürchtet wie der Teufel das Weihwasser. Nur schon die klare und eindeutige Stellungnahme gegen die Laienpredigt in der Homilie stellt viele Pfarreien und Kirchgemeinden vor schwerwiegende Probleme. Nicht selten werden in der Schweiz Pastoralassistent(inn)en mit dem expliziten Auftrag, in der Eucharistiefeier zu predigen, gesucht und angestellt. Dass dies dem kanonischen Recht widerspricht, nimmt man in Kauf.

Ähnliches gilt für die Forderung nach der Leitung einer Pfarrei, bzw. eines Seelsorgeraums durch einen geweihten Priester. Unter Berufung auf einen angeblichen oder tatsächlichen Priestermangel ist man in vielen Pfarreien dazu übergegangen, die Leitung einer Laiensperson zu übertragen. Priester amten häufig nur noch als so genannte „priesterliche Mitarbeiter“, d.h. sie werden mehr oder weniger noch dort geduldet, wo man sie in der Liturgie unbedingt braucht. Das führt mitunter dazu, dass Pfarreien lieber keinen Priester einstellen als einen, der ihrem Geschmack nicht entspricht, weil er z.B. die Gebote Gottes und der Kirche „zu ernst“ nimmt. Das „duale System“ macht’s möglich, denn angestellt und besoldet werden die kirchlichen Mitarbeiter nicht vom Bistum, sondern von den staatskirchlichen Körperschaften.

Obwohl dieses einzig in der Schweiz praktizierte System den Bischöfen viel Handlungsspielraum raubt, wird es von den Oberhirten der Bistümer Basel und St. Gallen sehr geschätzt – ob aus Überzeugung, Menschenfurcht oder Opportunismus, bleibe dahingestellt. Auf jeden Fall würde die Umsetzung der Instruktion das duale System empfindlich treffen. Das mag der – oder zumindest ein wichtiger – Grund dafür sein, warum sich die Bischöfe Gmür und Büchel mit ihr nicht anfreunden können. Bischof Gmür schreibt:

„Ich kann verstehen, dass die Instruktion manche ernüchtert, weil sie unsere Wirklichkeit und unsere Herausforderungen nur am Anfang und am Schluss abbildet. Vor allem im Bereich des Rechts ist keine Innovation zu erkennen, so dass der schale Eindruck bleibt, es gehe letztlich eben doch um die Vorrangstellung des Klerus. Das ist schade und bereitet mir Sorge. Ich will mich darum weiterhin dafür einsetzen, dass das kirchliche Leben im Bistum Basel entwicklungsorientiert bleibt, auch in struktureller und rechtlicher Hinsicht. (…) Die Instruktion zeigt einmal mehr, dass der Dialog zwischen den Bistümern und den römischen Dikasterien noch sehr mangelhaft ist. Sie zeigt zweitens, dass die theologische Debatte über die Stellung und den Auftrag des Priesters nottut. Dazu gehört drittens auch die Klärung des kirchlichen Dienstamtes für Frauen und Männer im Gefüge der Gemeinschaft des Volkes Gottes unter den lebensweltlichen Bedingungen unserer Zeit.“

Besonders der Satz über die angebliche Vorrangstellung des Klerus irritiert. Das 2. Vatikanische Konzil hat den Unterschied zwischen dem allgemeinen Priestertum aller Gläubigen und dem Weihepriestertum sehr schön herausgearbeitet und gezeigt, dass es nicht um Vorrangstellungen, sondern um unterschiedliche Aufgaben geht. Auf dieser Basis argumentiert auch die Instruktion. Ihr nun zu unterstellen, sie wolle den Vorrang des Weihepriestertums vor dem allgemeinen Priestertum zementieren, setzt eine ziemliche einseitige Interpretation voraus. Allerhöchstens kann man in ihr die Absicht erkennen, dem Weihepriestertum wieder seine ureigensten Aufgaben zurückzugeben, die ihm von einer kleinen sich immer klerikaler gebärdenden Elite von Laien nach und nach entwunden worden sind.

Ein letzter Gedanke: In vielen Punkten deckt sich die Instruktion mit den Vorschlägen, die im so genannten Vademecum von 2013 enthalten sind. Dieses Arbeitspapier der Schweizer Bischofskonferenz wurde damals entwickelt, um eine einvernehmlichere Zusammenarbeit zwischen der Kirche und den staatskirchlichen Körperschaften zu erreichen. Leider wurde es schon bald schubladisiert. Der apostolische Administrator von Chur, Bischof Peter Bürcher, hat einige Male auf dieses wertvolle, aber noch kaum rezipierte Dokument hingewiesen. Vielleicht verleiht ihm nun die römische Instruktion eine Art Auferstehung aus dem Staub der Akten.

von Martin Meier-Schnüriger

 

 

 

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